Die Situation der öffentlichen Büchereien im Harzkreis hat die SPD auf den Plan gerufen. Bei einem Workshop in Halberstadt schilderten Bibliothekare ihre Erfahrungen. Angesichts immer knapperer Kassen geht bei ihnen die Angst um, ihre Einrichtungen könnten zu Archiven werden.
Von Renate Petrahn, Harzer Volksstimme vom 23. April 2015
Halberstadt ● Öffentliche Bibliotheken sind Ländersache. Sachsen-Anhalt war nach Thüringen das zweite Bundesland, das ein Bibliotheksgesetz (2010) verabschiedete.
Das Gesetz trägt zwar der Bedeutung von öffentlichen Bibliotheken als Bildungseinrichtung Rechnung, definiert aber deren Aufgaben als Lernorte und als Orte der Literatur und
Informationsversorgung nicht als Pflichtaufgabe der Kommunen. Das Angebot und die Einrichtung von öffentlich zugänglichen Bibliotheken gehören vielmehr zu den freiwilligen
Leistungen der Kommunen. Ein Manko, das derzeit zu Verwerfungen in der Bibliothekslandschaft im Harzkreis führt. Hintergrund ist vor allem die prekäre Haushaltslage der Kommunen, die zu Schließungen von Bibliotheken, wie in Elbingerode – als Worst-Case-Szenario, übersetzt: als schlimmster Fall. Oder es gibt bislang unsichere Zukunftsaussichten durch neue, noch nicht dauerhaft in der Praxis erprobte Trägermodelle, wie in Blankenburg und in Thale, zu beobachten ist. Angesichts dieser Situation luden Kreisvorstand und Kreistagsfraktion der SPD jetzt zu einem Workshop über die Situation der Büchereien im Landkreis Harz in die Halberstädter Stadtbibliothek „Heinrich Heine“ ein. Neben Ronald Brachmann in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des SPD-Kreisverbandes Harz war Corinna Reinecke, die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, nach Halberstadt gereist. Moderiert wurde der Meinungsaustausch durch Ute Fahrtmann vom Kreisvorstand Harz. An dem Workshop nahmen von Seiten der Harzer SPD außerdem Elke Stutzkowski, Jens Grezes, Kurt Neumann, Rolf Riedinger sowie Reinhard Brinksmeier vom Verein zur Förderung der Kreisbibliothek in Quedlinburg teil. Das Dilemma ist klar, in dem sich Träger wie Bibliotheken befinden. Auf der einen Seite Etatkürzungen zur kommunalen Haushaltskonsolidierung, die je nach Landeshaushalt sinkenden oder steigenden Landeszuweisungen. Andererseits das tendenzielle Sinken des Ankaufsetats für Bücher und Medien bei den Bibliotheken. Ergebnis: Die Einrichtungen laufen Gefahr, zu Antiquariaten werden. Im Kontrast dazu der öffentliche Auftrag der Bibliothek auch mit Blick auf Kindertagesstätten und Schulen.
Kennzeichnend für den Meinungsaustausch war seine offene Atmosphäre. „Frei von der Leber weg“ schilderten die Leiterinnen der Bibliotheken in Halberstadt und Ilsenburg, Birgit Sommer und Angela Jana, unterstützt von Klaus Grünberg, Leiter der Stadtbibliothek Wernigerode/Harzbücherei, die aktuelle Situation. Gleichzeitig wurde eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, um die prekäre Situation der Bibliotheken zu verbessern. Die beste Möglichkeit von allen, die Einrichtung und Bestandssicherung von öffentlichen Büchereien zu einer Pflichtaufgabe der Städte, Gemeinden und Landkreise zu machen, so der Tenor der Bibliothekare, die sich damit auf den Musterentwurf eines
Bibliotheksgesetzes beziehen. Dieser wurde 2008 durch den Deutschen Bibliotheksverband vorgelegt und bislang in keinem
Bundesland verwirklicht. Neben der Forderung nach verstärkter finanzieller Unterstützung auch von Seiten des Landes wurden auch Möglichkeit einer Vernetzung der Bibliotheken im Landkreis diskutiert, „um auch in den kleinsten Ort Bücher zu bringen“. Um dies zu erreichen, waren unterschiedliche Modelle im Gespräch: beispielsweise
ein gemeinsamer Leseausweis für alle Bibliotheken. Damit wäre es möglich, mit einem einzigen Ausweis das Angebot
verschiedener Büchereien zu nutzen. Positiver Nebeneffekt: die Auswahl der zur Verfügung stehenden Bände nimmt zu.
Außerdem sind die Einrichtungen über den elektronischen Bibliothekskatalog OPAC (Online Public Access Catalogue)
untereinander vernetzt. Ebenso wäre ein Bücherbus als weitere Variante denkbar. Allen Varianten gemeinsam: es muss gründlich gerechnet werden, um ihre Machbarkeit zu überprüfen. Vernetzung und landkreisweites Agieren ist ein Thema, das auch für Kreisvolkshochschulchefin Gerlinde Schöpp von besonderem Interesse ist. Gehört doch seit dem 1. Januar 2015 die Quedlinburger Kreisbibliothek zur Kreisvolkshochschule Harz GmbH und soll nach dem Wunsch der Landkreisverwaltung sich „mehr auf kreisliche Zuständigkeiten“ entwickeln. Den gegenwärtigen Arbeitsstand resümierend, sagte Schöpp beim Workshop, dass im laufenden Jahr eine Ist-Zustandsanalyse erfolge, die als Grundlage für die Konzeption der Bibliotheksarbeit diene, die
im kommenden Jahr vorgelegt werde. Gute Unterstützung habe sie von den Bibliotheken in Halberstadt, Ilsenburg und
Wernigerode bekommen. Wohl niemand hatte am Ende des gut anderthalbstündigen Meinungsaustausches fertige Problemlösungen erwartet. Dennoch war es nach Auffassung der Teilnehmer gut, sich über die Lage vor Ort im direkten Gespräch mit den Akteuren zu unterrichten. Corinna Reinecke konnte eine Reihe von Anregungen mit nach Magdeburg nehmen. Aufmerksame Begleitung bei der Entwicklung einer Konzeption für eine künftige Kreisbibliothek, die mehr ist als eine Stadtbücherei, sagte Ute Fahrtmann zu. Und dass die Experten, vor allem in den großen Einrichtungen im Landkreis Harz trotz aller Probleme nach vorn schauen, werden die Landesliteraturtage 2015 im September in Wernigerode zeigen, bei denen der dortigen Stadtbibliothek eine herausragende Rolle zukommt.